Es scheint, als könnten Deutschland und Europa noch so viele Green Deals und Klimaschutzstrategien auf den Weg bringen, kluge CO₂-Budgets für die verschiedenen Sektoren der Wirtschaft aufstellen, nachhaltige Technologien fördern und verzweifelte Appelle starten: Letzten Endes erweist sich keine Maßnahme als effizient genug. Mit jedem Jahr, das vergeht, wird es unwahrscheinlicher, dass wir als einer der weltweit größten Wirtschaftsräume unseren Beitrag leisten, um die Klimaschutzziele des Pariser Abkommens von 2015 zu erreichen.
In den vergangenen 30 Jahren hat Deutschland die ausgestoßenen Kohlendioxid-Äquivalente um fast 500 Millionen Tonnen auf 760 Millionen reduziert. Um die vereinbarten Klimaziele umzusetzen, müssen noch in diesem Jahrzehnt weitere 330 Millionen Tonnen aus der Bilanz genommen werden. Für 2045 ist der Nullpunkt anvisiert. Dass uns erneuerbare Energien, grüner Wasserstoff und smarte Technologien bis zur Mitte des Jahrhunderts auf dieses „Net Zero“ bringen werden, mag noch im Bereich des Möglichen liegen, aber das damit verbundene „Vielleicht“ ist definitiv keine Option.
Trotz allem: Meinen Optimismus, dass die Dekarbonisierung der Wirtschaft doch noch rechtzeitig gelingen kann, lasse ich mir nicht nehmen. Es gibt nämlich weiterhin eine Ressource, die in der viel zu technokratisch geführten Debatte um die Nachhaltigkeit bisher nicht hinreichend genutzt wird. Und nein, dabei handelt es sich nicht um die Atomkraft, die doch nur so lange beherrschbar erscheint, bis der nächste Reaktor überhitzt. Die Energie, auf die es jetzt ankommt, steckt in den Köpfen und Herzen der Menschen. Hier findet die wahre Disruption statt, und Unternehmen dürfen es als ihre Aufgabe und Verantwortung auffassen, diesen Funken zu zünden.
Obwohl die Öko-Sensibilität der Menschen ohne Zweifel in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat und von den jungen Generationen auch aktiv eingefordert wird, bleibt eine wesentliche Aufgabe: die „Tyrannei der kleinen Entscheidungen“ zu durchbrechen, von der der US-amerikanische Ökonom Alfred E. Kahn bereits in den 1960er-Jahren sprach. Tagtäglich werden millionenfach Entscheidungen getroffen, Maßnahmen geplant und Projekte angestoßen, die ökologisch längst nicht mehr zu rechtfertigen sind. Im privaten wie im beruflichen Kontext. Dieses Verhalten mag im Widerspruch zu all den Umfragen und Studien stehen, die eher auf ein steigendes Verantwortungsbewusstsein hinweisen. Doch der Mensch ist große Klasse darin, wider besseren Wissens und jeder Vernunft zu handeln: aus reiner Bequemlichkeit, weil im Gehirn das Belohnungssystem anspringt und seinen Tribut verlangt, als Folge einer unseligen Gruppendynamik oder weil nachhaltiges Verhalten manchmal einfach teuer ist.
Können Unternehmen dazu beitragen, dass sich dieses Dilemma zwischen ökologischem Anspruch und gelebter Wirklichkeit auflöst? Ganz bestimmt. Der Arbeitsplatz, das Team und die Kolleg:innen spielen im Leben der meisten Menschen eine wesentliche Rolle. Hier bringen sie ihre Werte und Fähigkeiten ein, aber von hier können sie auch etwas mitnehmen. Ich bin überzeugt, dass eine große Chance darin liegt, soziale Bewegungen, Graswurzel-Initiativen in den Unternehmen anzuregen, in denen sich die besonders umweltbewussten Mitarbeitenden verbünden, weitere Kolleg:innen begeistern und sukzessiv die Nachhaltigkeits-Skills einer Organisation erhöhen. Soziale Bewegungen tragen Elemente der Freiwilligkeit und Selbstwirksamkeit, der Gemeinschaft und kollektiver Verantwortung in sich. Sie können jene Funken schlagen, die es braucht, um die „Tyrannei der kleinen Entscheidungen“ zu überwinden und Nachhaltigkeit als selbstverständlichen Parameter für berufliches wie privates Handeln zu stärken.
Voraussetzung für solch kleine Revolutionen ist, dass Gesellschafter und Führungskräfte diesen ungewöhnlichen Ansatz für nachhaltigen Change aus innerer Überzeugung mittragen und aktiv fördern. Übrigens ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich diese Offenheit auch betriebswirtschaftlich auszahlt. Der Wettbewerb der Zukunft wird über den Sustainability Impact durch innovative Produkte oder besonders gute Umweltbilanzen entschieden. Und letztlich, das meine ich durchaus ernst, geht es um etwas noch Größeres – ein Überlebensthema für uns alle.
Über den Autor
Dr. Thomas M. Fischer ist Gründer und CEO der Allfoye Managementberatung, Mitglied im Aufsichtsrat der Bauer Gruppe, Chairman des Institute for Leadership & Transformation sowie Startup-Gründer, Coach und Investor. Seine Expertise liegt auf dem Gebiet von Nachhaltigkeits- und Digitalisierungsstrategien für den Mittelstand, deren Umsetzung seiner Erfahrung nach nur über einen Kulturwandel zum Erfolg führen kann.