30.01 2023

Wasserstoff und seine Rolle zur Dekarbonisierung

Die EU-Green Deal sieht vor, dass die EU im Jahr 2050 klimaneutral ist. In Deutschland wurden mit der Änderung des Klimaschutzgesetzes die Klimaschutzvorgaben verschärft und das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 verankert. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen nach den aktuellsten Hochrechnungen in Deutschland bis 2045 schätzungsweise ca. 240 Mrd. € p.a. in klimaneutrale Technologie investiert werden – in Summe 6,0 Bil. €. 

Für den langfristigen Erfolg der Energiewende und für die erfolgreiche Dekarbonisierung der Industrie ist der sektorübergreifende Einsatz von Wasserstoff unverzichtbar. Wasserstoff, der klimafreundlich durch die Nutzung erneuerbarer Energien hergestellt wurde („grüner Wasserstoff“), wird dabei als vielfältig einsetzbarer Energieträger bei der Umstellung auf eine post-fossile Industrienation eine Schlüsselrolle einnehmen müssen.

Generelle Anwendungsmöglichkeiten

Wasserstoff ist Energieträger und Rohstoff für unterschiedlichste Industrien. Bereits jetzt wird klimafreundlicher Wasserstoff vereinzelt in energieintensiven Industrien eingesetzt, wie zum Beispiel in der Stahlindustrie, als Ersatz für das Reduktionsmittel Koks . Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang das Projekt GrInHy2.0 der Salzgitter AG und der Firma Sunfire. Der Stahlkonzern betreibt in Salzgitter die weltweit größte Hochtemperatur-Elektrolyseur der Firma Sunfire, zur Herstellung von Wasserstoff. Die Nutzung von Wasserstoff in der Primärstahlerzeugung bildet das Fundament der Nachhaltigkeitspläne des Stahlkonzerns. Nach vier Jahren Laufzeit können die Partner des Wasserstoffprojektes GrInHy2.0 mit einer Rekordproduktion von fast 100 Tonnen grünem Wasserstoff für die klimaneutrale Herstellung von grünem Stahl eine positive Bilanz ziehen. So schließen die Salzgitter AG und der Elektrolyseur-Hersteller Sunfire das EU-geförderte Projekt GrInHy2.0 („Green Industrial Hydrogen“) im Jahr 2022 zufrieden ab. Das unten abgebildete Schaubild veranschaulicht, welche Vorgänge im Zuge des Projekts umgesetzt wurden und welche in Zukunft umgesetzt werden sollen.


(Quelle: https://salcos.salzgitter-ag.com/de/grinhy-20.html)

Die Chemieindustrie, bei der Wasserstoff und Wasserstoffderivate schon heute nicht wegzudenken sind, können nur mit grünem Wasserstoff klimaschonend betrieben werden. Das Gas wird derzeit in großen Mengen vor allem stofflich genutzt, zum Beispiel für die Herstellung von Ammoniak bzw. Düngemitteln, für die Fertigung von Halbleitern oder auch in der Lebensmittelerzeugung für die Fetthärtung. Wenn grüner Wasserstoff genutzt wird, ermöglicht dies eine deutliche Reduktion der assoziierten Treibhausgasemissionen. Somit wird grüner Wasserstoff wesentlich sein bei der Realisierung einer „grünen Chemie“. Unternehmen wie INEOS und Currenta wissen bereits jetzt schon um die Bedeutung des grünen Wasserstoffs und arbeiten in einem gemeinsamen Projekt an dem Aufbau und dem Betrieb einer 100 Megawatt-Wasserelektrolyse zur Erzeugung von grünem Wasserstoff (Produktionsstandort unten im Bild zu sehen). Ziel des Projekts, das Teil eines zwei Milliarden Euro-Pakets für grüne Wasserstoffprojekte ist, ist den hergestellten Wasserstoff direkt in der von INEOS in Köln betriebenen Ammoniak- und Methanolproduktion zu nutzen.


(Quelle: https://www.ineoskoeln.de/news/ineos-in-koln-und-currenta-starten-gemeinsames-grobprojekt-zur-wasserstofferzeugung/)

Viele weitere Sektoren wie bspw. der Verkehrssektor, in welchem die Anwendung von Elektro-Antrieben nicht immer sinnvoll und möglich ist, ermöglicht die Nutzung von Wasserstoff klimaschonende Lösungen. So hat Wasserstoff bzw. eines seiner Derivate als klimafreundlicher Kraftstoff das Potenzial, LKWs, Schiffe und Flugzeuge anzutreiben, Dieselzüge im Regionalverkehr zu ersetzen und in Folge die CO2-Emissionen in der Mobilität zu reduzieren. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt arbeiten Unternehmen wie Alstom an der Umrüstung von Diesel-Lokomotiven zu umweltfreundlichen Hybrid-Diesel-Loks mit Wasserstoffantrieb. Erste Erfolge konnten bereits verzeichnet werden, da seit Sommer 2022 die ersten Wasserstoffzüge im regulären Linienverkehr der evb in Niedersachsen den kommerziellen Betrieb aufgenommen haben.

Die Beispiele aus den verschiedenen Sektoren verdeutlichen, dass grün erzeugter Wasserstoff einen wichtigen Beitrag zur Dekarbonisierung Europas bzw. Deutschlands leisten kann. Die ambitionierten europäischen als auch deutschen Klimaziele werden den Handlungsdruck in den kommenden Jahren signifikant erhöhen und die Nachfrage nach dem Auf- bzw. Ausbau einer Wasserstoffwirtschaft weiter stärken.

Wasserstoff ist und bleibt ein Multitalent!

Grüner Wasserstoff leistet einen wichtigen Beitrag bei der so genannten Sektorkopplung – eines der Schlüsselkonzepte der Energiewende. Unter Sektorkopplung wird die Vernetzung der Sektoren Elektrizität, Wärmeversorgung, Mobilität und Industrie verstanden. Durch diese Kopplung der Austausch zwischen den heute noch weitgehend getrennt agierenden Sektoren zukünftig ermöglicht. So kann beispielsweise der bei der Stromproduktion durch Wind und Sonne anfallende Überschuss-Strom in Wasserstoff umgewandelt und somit als Energiespeicher verwendet werden. Der so erzeugte grüne Wasserstoff lässt sich dann stofflich oder eben auch energetisch in anderen Sektoren einsetzen.

Was ist erforderlich // Bereitstellung von kostengünstigem Wasserstoff

Für alle möglichen Einsatzfelder von grünem Wasserstoff gilt gleichermaßen, dass das Gas günstig und in den richtigen Mengen am richtigen Ort verfügbar sein muss. Eine günstige Produktion des Energieträgers bedingt den Bau von großen Erzeugungsanlagen im „GW Scale“, um Skalierungseffekte bei den Anlagenkomponenten zu realisieren und folglich die Fixkosten zur Erzeugung des Energieträgers zu reduzieren. Ebenfalls unabdingbar ist die Verfügbarkeit von günstigem, erneuerbarem Strom in großen Mengen. Großprojekte zur Erzeugung des Energieträgers entstehen daher insbesondere dort, wo es Zugang zu günstigem, erneuerbarem Strom gibt – sprich in sonnenreichen Regionen wie bspw. in Südeuropa oder dem Nahen Osten als auch in küstennahen Regionen wie der Nord- oder Ostsee.

In Europa befinden sich derzeit eine Reihe von Großprojekten in der Projektierung. Das spanische Unternehmen Cepsa plant Elektrolyseur-Anlagen mit einer Gesamtkapazität von 2 GW bis 2028 in Betrieb zu nehmen. Die Produktion soll 2026 beginnen und bis 2028 sollen an zwei verschiedenen Standorten pro Jahr bis zu 300.000 t grüner Wasserstoff produziert werden.

Ein anderes Beispiel außerhalb Europas ist das Projekt der NEOM Green Hydrogen Company in Saudi Arabien. Als Bestandteil des Großprojektes NEOM werden in der Wüste ab 2026 mit 2 GW Elektrolysekapazität täglich 650 Tonnen Wasserstoff erzeugt und anschließend zu 3.000 Tonnen Ammoniak weiter verarbeitet. Die Energie für die Wasserstofferzeugung wird durch eine kombinierte Peakleistung von 4 GW PV- und Windkraftanlagen bereitgestellt. Lieferant der 2 GW Elektrolyseursysteme ist die ThyssenKrupp Tochter Nucera.

Um das Gas vom Ort der groß skalierten Erzeugung oder des Imports in den Bedarfszentren verfügbar zu machen, benötigt es auf nationaler und auch europäischer Ebene ein entsprechend ausgebautes Wasserstoff-Pipelinesystem. Das Pipelinenetz muss so ausgelegt sein, dass Wasserstoff aus den primär küstennahen Erzeugungs- bzw. Importregionen (wie bspw. aus Wilhelmshaven) in Bedarfszentren wie das Ruhrgebiet oder auch Süddeutschland transportiert werden kann. Bis 2040 müssen so in Europa bis zu 40.000 km zu Wasserstoff Pipelines umgewidmet bzw. errichtet werden. Ein Initiative, die diese Vision vorantreibt, ist die European Hydrogen Backbone (EHB)-Initiative. Sie besteht aus einer Gruppe von 31 Energieinfrastrukturbetreibern, die sich durch die gemeinsame Vision eines klimaneutralen Europas mit einem florierenden Markt für erneuerbare und kohlenstoffarme Energieträger verbunden fühlen. Das Ziel der Initiative ist Europas Weg zur Dekarbonisierung zu beschleunigen und die Entwicklung eines wettbewerbsfähigen, europäischen Marktes für erneuerbare und kohlenstoffarme Energieträger zu schaffen, indem sie die Wasserstoffinfrastruktur ausbauen – basierend auf bestehenden und neuen Pipelines. Die anschließende Abbildung veranschaulicht die Vision der EHB-Initiative.


(Quelle: https://ehb.eu/)

 

Ein weiterer Faktor für die Reduktion der Wasserstoffherstellkosten ist eine Skalierung der Anlagen zur Fertigung von Schlüsselkomponenten einer Wasserstoffwirtschaft, wie Elektrolyseure und Brennstoffzellen. Treiber in diesem Bereich ist das Leitprojekt H2Giga. Bei H2Giga befeuern etablierte Elektrolyseurhersteller, Zulieferer aus verschiedenen Technologiebereichen sowie Forschungseinrichtungen und Universitäten die serielle Produktion von effizienten, robusten und kostengünstigen Elektrolyseuren, die auch Aspekte wie Recycling und einen flexiblen Betrieb berücksichtigen.

Herausforderungen bei der Umsetzung

Wesentliche Herausforderung bei der Realisierung von Wasserstoff-Ökosystemen ist das parallele Skalieren der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette. Diese umfasst die Erzeugung, Speicherung, den Transport sowie die Anwendung von Wasserstoff. All diese Prozessschritte sind parallel zu skalieren, um eine kosteneffiziente Bereitstellung und Nutzung des Energieträgers zu ermöglichen. Das Anspruchsvolle hierbei ist, dass einzelne Prozessschritte der H2 Wertschöpfungskette zumeist von unterschiedlichen Marktakteuren bedient werden und ein jeder dieser Akteure vor der Aufgabe steht, seine Technologie sinnbildlich vom MW in den GW Bereich zu skalieren.

Für die erfolgreiche Realisierung von Wasserstoff-Ökosystemen braucht es daher ein abgestimmtes Vorgehen entlang der Wasserstoff-Wertschöpfungskette über Stakeholdergrenzen hinweg. Auf der Ebene von Einzelprojekten wiederum ist es unabdingbar, dass alle Projektbeteiligten sehr eng und abgestimmt agieren, um das Maß an Unsicherheit und auch Risiko, das solche Skalierungsprojekte mit sich bringen, zu minimieren und folglich eine effiziente Projektumsetzung ermöglichen.

Noch interessiert!?

Viele weitere spannende Aspekte rund um das Thema Wasserstoff bespreche im Podcast Blue Waves auf Spotify. In der Folge „Von Mega zu Giga“: der Allrounder Wasserstoff erläutere ich, warum es bereits weltweit einen Wechsel von Megawatt- zu Gigawatt-Anlagen gibt und wieso wir diese Steigerung benötigen. Außerdem erfahren Sie in der Folge, in welchen Ländern Wasserstoff schon jetzt eine große Rolle spielt und wie sich der Import großer Mengen Wasserstoff in der Zukunft gestalten lässt.

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